Deutscher Film: Neue Wege in die Zukunft I
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Schön, wenn man miteinander geredet hat. Aber was dann? Ohne einen Ausblick wollten die Organisatoren des Kongresses „Zukunft Deutscher Film“ ihre Besucher nicht gehen lassen. Deshalb ließen sie, angeregt durch die Thesen von Edgar Reitz, 26 Filmemacher und Fachleute an beiden Tagen in drei Arbeitsgruppen die drängenden Themen diskutieren. Das Ergebnis sollten Handlungsempfehlungen sein, die Zum Abschluss im Großen Saal des Zoo-Gesellschaftshauses vorgestellt wurden.

Vorgetragen wurden sie von den jeweiligen Moderatoren der Arbeitsgruppen: Martin Hagemann, Produzent und Professor an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ Babelsberg, teilte sich die Präsentation zu „Förderung und Finanzen“ mit der Regisseurin Julia von Heinz; Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (Spio), schilderte die Vorstellungen zu „Ausbildung und Nachwuchs“; und Claudia Dillmann, ehemalige Direktorin des Deutschen Filmmuseums und des Deutschen Filminstituts sprach über „Distribution & Kinokultur“.

Wir veröffentlichen in den nächsten vier Tagen gekürzte Mitschriften der Vorträge. An der endgültigen Formulierung wird noch gearbeitet, sie soll voraussichtlich diese Woche auf der Kongress-Website veröffentlicht werden. Den Anfang machte Martin Hagemann mit Förderung und Finanzen – Kino:

Wir haben über den Sauerstoff nachgedacht, den das deutsche Kino unserer Meinung nach braucht. Wir müssen eine Kunstfreiheit wieder etablieren, die an die Extreme geht, die auch die Diversität von Themen, Rollen, Figuren wieder stärker hervorhebt, Filme, die ins Bodenlose ­gehen können, Filme, die auch scheitern können. Filme, die freier gemacht werden können, als das bisher möglich ist. Es gibt viel Geld, es gibt viele Möglichkeiten, aber wir empfinden, das deutsche Kino ist auf dem Weg zu einer Mono-Kultur.

Es hat aus unserer Sicht sehr viel mit dem Gremien-System zu tun. Die meisten Entscheidungen, warum Filme gemacht werden, beruhen auf Gremien, und wir halten diese nicht mehr für zeitgemäß sind. Es gibt deutlich mehr Anträge als noch vor 20 Jahren. Es sind Spezialisten nötig, um bestimmte Aspekte beurteilen zu können. Diese Professionalisierung gelingt nicht recht im Gremiensystem. Es gibt ein anderes großes Problem mit diesen Gremien: sie sind nicht transparent, ich weiß also als Filmemacher, warum ich abgelehnt worden bin, wenn der Entscheid dann kommt. Und wenn ich gefördert worden bin, erfahre ich es auch nicht, aber dann ist es mir auch egal, weil ich ja meinen Film machen kann.

Der Deutsche Film hat sich in diesem Jahr in Form der Filmförderungsanstalt (FFA) ein Kriterium gegeben, das es bisher noch nicht gab: es sollen nur noch Filme gefördert werden, die wenigstens 250.000 Zuschauer erwarten lassen. Das „Fördersystem“ hat sich zum ersten Mal eine Nenngröße gegeben, was gefördert werden soll und was nicht .

Über 20 Jahre, komplett unverändert, sind es 20 bis 25 Filme, die über 250.000 Zuschauer im Jahr kommen. Und diese 20 bis 25 Filme, machen 88 Prozent der deutschen Zuschauer aus. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, es gibt 100 bis 120 Filme, 20 davon nehmen an die 90 Prozent des Marktes, die anderen 80 bis 100 Filme rund um 10 bis 12 Prozent Marktanteil der deutschen Zuschauer, die in deutsche Filme gehen. Diese Filme durchlaufen aber alle das gleiche Fördersystem, stellen sich alle den gleichen Gremien, unterliegen alle mehr oder weniger den gleichen Kriterien. Und diese Kriterien sind halt unklar, sie sind intransparent, diese Kriterien werden getrieben von ökonomischen Ansprüchen an das Kino und sie werden bemessen nach dem Box Office. Und diesem Kriterium unterliegen alle Filme, aber drei Viertel der Filme erfüllen diese Kriterien im Nachhinein gar nicht.

Wenn man sich dann anguckt, wie das Geld in Deutschland verteilt wird, stellt man fest: Die Hälfte des Geldes geht ungefähr an die Filme, die dann dem kommerziellen Erfolg auch gerecht werden. Die andere Hälfte geht in diese 60, 80, bis 100 Filme, die ihm nicht gerecht werden. Schluss mit dem Etiketten-Schwindel! Filme, die den kommerziellen Gesichtspunkten der deutschen Filmindustrie nicht genügen, müssen auch nicht im Vorhinein beurteilt werden, ob sie ihnen in Zukunft eventuell genügen, sie müssen nach anderen Kriterien gefördert werden, über sie muss ganz anders entschieden werden. Wir schlagen vor, dass die Hälfte des Geldes, das zur Verfügung steht, nicht mehr über die üblichen Gremien vergeben wird.

Wir schlagen vor, dass jede Förderung von zwei Kuratoren (einer Kuratorin und einem Kurator) entschieden werden, und das diese rotieren müssen. Dass sie maximal drei bis vier Jahre über die Filme entscheiden. Sie müssen diese Entscheidung transparent treffen, sie müssen den Filmemachern diese Entscheidung begründen. Sie übernehmen damit das, was nicht mehr übernommen wird im Gremiensystem: Verantwortung, und sie müssen sich für diese Verantwortung eben auch rechtfertigen.

Da aber auch Kuratoren sich täuschen können, ist unser weiterer Vorschlag, dass 20 Prozent des Geldes, was dieser freien Seite zur Verfügung steht, nicht von den Kuratoren vergeben wird, sondern zwischen den Anträgen, die diese Kuratoren abgelehnt haben, verlost wird.

Wir schlagen ferner vor, dass die erste Stoffentwicklungsförderung in Zukunft anonymisiert eingereicht und anonymisiert entschieden wird. Das wird nicht auf viele Freunde in unseren Förderkreisen stoßen, es wird ein längerer Weg dorthin werden. Wir haben uns deshalb entschieden, Sofort-Maßnahmen zu fordern, die inhaltlich mit diesem Modell zusammenhängen. In Deutschland werden nur 4 Prozent der Fördermittel für die gesamte Entwicklung ausgegeben. Das sind in Frankreich 12 Prozent, in Dänemark 25 Prozent. Wir fordern eine drastische Erhöhung des Developments, denn besser ein Film scheitert im Development als in der Produktion.

Die Verleihförderung ist in den letzten zehn Jahren über 10 Prozent gesunken. Wir brauchen eine massive Erhöhung der Förderung, die unsere Filme dann promotet. Wir brauchen ab sofort, auch wenn sich das System nicht so schnell ändert, Transparenz. Wir möchten die Regionaleffekte abschaffen, oder zumindestens die Regionalförderer zwingen, sie in einer Börse auszutauschen, so dass Produzenten, die in Nordrhein-Westfalen Geld kriegen, in Berlin drehen können, wenn ein Produzent aus Berlin statt dessen in Nordrhein-Westfalen dreht.

Wir erwarten, dass die Förderung, die sich für ein Projekt zuerst entscheidet, auch wirklich einen Erstaufschlag macht und 30 Prozent des Budgets fördert. Und wir fordern einen Kalkulations-Realismus, vor allem im Bereich der Gagen, fordern sozialverträgliche Gagen.

 

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