Zwischen Berlinale und „Deutschem Filmpreis“ wurde in Frankfurt weiter an der Zukunft des Deutschen Films gearbeitet. Der Kongress schloss mit einer Erfolgsmeldung. Darum soll es in Zukunft regelmäßig weitergehen.
„Die Berlinale ist vorüber. Die Blamage war ziemlich ungeheuerlich, und der große Preis ging konsequenterweise an den falschen Film. Die Bundesfilmpreise sind auch wieder einmal vergeben. Es war eine prachtvolle Veranstaltung“, schrieb Uwe Nettelbeck in der „Zeit“. Und fand die Entscheidung „eine indiskutable Verwendung fiskalischer Gelder. Mit dem deutschen Film geht es vielleicht wirklich aufwärts, aber nicht mit dem erhofften neuen, sondern mit dem alten, mit dem, den wir satt haben, der abgeschmackt ist und fade. […] Wo sind die Rebellen von damals, die von Oberhausen ihren Namen haben? Sie sind heute müde, in alle Winde verstreut und haben sich fast alle, abgefunden. Für manche ist es schon Zeit geworden, sich um ihre Rente zu kümmern. Das Manifest war glühend und blieb ein Stück Papier. […] Eine Filmhochschule haben wir noch immer nicht, aber dafür sicher bald – wenn die Parlamentarier erst aus der Sommerfrische heimkehren – ein Filmhilfsgesetz, das die Etablierten stützt, dem Ehrgeiz Grenzen zieht und für brave Knaben ein Almosen vorsieht. […] Eine Filmhochschule haben wir noch immer nicht, aber daran liegt es nicht allein. Und man kann ein schlechtes Gesetz nicht für alles verantwortlich machen. Daß die trivialsten Filme das meiste Geld bekommen oder einspielen, ist weder neu noch besonders tragisch und auch kaum zu ändern. […] Die Filmförderung liegt im argen, zugegeben, und höheren Orts wird durch bornierte Funktionäre manches verdorben, zum Zuge kommt das Schlechte, und bei den Produzenten liegen noch immer die alten Rezepte auf dem Tisch. Es kommt aber auch keiner mit neuen.“
Nettelbeck schrieb das 1964, und auch Kritik und Publikum kommen in seiner Bestandsaufnahme zum Deutschen Film (West) nicht davon. Inzwischen hat sich vieles geändert: Ein Filmfördergesetz gibt es, Filmhochschulen sogar mehrere, und die Rebellen von Oberhausen hatten sich bald darauf auch noch gezeigt. Und doch klingt vieles 60 Jahre später seltsam bekannt. Man dürfte getrost alle Hoffnung fahren lassen.
Oder man kann’s trotzdem nochmal versuchen. Am Fördersystem haben so ziemlich alle etwas auszusetzen. Besonderes trifft es die Filmförderungsanstalt (FFA), genauer gesagt das Filmfördergesetz. Alle paar Jahre wird die große Novelle erhofft, durch die der Deutsche Film endlich international wettbewerbsfähig wird oder auch nach Cannes eingeladen wird, wenn mal nicht Wim Wender Regie führt, oder einfach nur nicht so aussieht, als müsste er in irgendein Fernsehprogramm passen.
So richtig hatte das nie geklappt. Kurz vor der letzten Novelle hatte Edgar Reitz beim Lichter Filmfest in Frankfurt 2016 einen filmpolitischen Neuanfang gefordert. Der Regisseur war einer der 26 Filmemacher, die 1962 mit dem Oberhausener Manifest den Grundstein für den Neuen Deutschen Film und in der Folge das Filmfördersystem gelegt hatten. Außerdem hatte er mit seiner „Heimat“-Reihe Film- und Fernsehgeschichte geschrieben, nebenbei neue Maßstäbe für Serien gesetzt und ist, finden Jochen Kürten und Silke Wünsch bei der Deutschen Welle, überhaupt der „stille Star des deutschen Kinos“.
Das Lichter Filmfest griff die Anregung auf und organisierte zwei Jahre darauf den Kongress „Zukunft Deutscher Film“ – mehr dazu in cinearte 420 als [PDF]. Zwei Tage arbeiteten Filmmenschen aller Gewerke und Disziplinen an Ideen, Ergebnis waren die „Frankfurter Positionen“. Auf der Basis sollte weiter gedacht werden.
Dann kam Corona. Der Folgekongress wurde erstmal abgesagt, die ersehnte Verbesserung des Filmfördergesetzes (FFG) ebenfalls. Den Neustart beim Kongress im vorigen Jahr hatte ich verpasst. Im „Filmdienst“ sah Lars Henrik Gass den „Filmbetrieb in ratloser Depression“, ihm „demonstrierte die Veranstaltung vor allem Denkstarre und Ängste bei den Teilnehmern, die noch immer auf die Zusammenarbeit mit Strukturen setzen, deren Schaden für die Entwicklung von Filmkunst längst unbestreitbar ist.“
Nun ja. Der erste Kongress (da war Gass noch selbst dabei) hatte die Latte auch ganz schön hoch gelegt, und noch ein paar neue Positionen mehr wollte wohl auch keiner erwarten. Der Zukunftskongress jedenfalls hat einiges an Ideen und Gesprächen zusammengetragen und im Februar veröffentlicht. Umso neugieriger war ich als auf die neue Ausgabe. Wie arbeitet man weiter an der Zukunft?
Das erste Panel lasse ich ausfallen: „Vom Regisseur zum Shooter – Wer führt beim Film?“. Versprochen wird der alte Streit zwischen Drehbuch und Regie. So möchte ich mir die Zukunft des Films nicht vorstellen. Interessanter ist doch die Frage, was junge Regisseur*innen zu berichten haben. Und da eröffnete der Kongress praktisch mit einem Knall. Denn die verlesen erstmal einen Appell in ungewohntem Klartext: die Branche erstickt ihre Talente! Das würde zumindest erklären, warum der deutsche Filmnachwuchs regelmäßig und oft mehrfach bei den „Oscars“ abräumt, aber dann doch nie nach Cannes eingeladen wird und irgendwann einen „Tatort“ dreht.
Wir haben Ideen, aber ihr lasst uns nicht, heißt es in dem Appell. „In Deutschland wagt man nichts, was sich nicht bereits bewährt hat. […] Statt zu sehen, dass Erfolg nur mit Risikobereitschaft, mit Neuem, Nie-Dagewesenem, Originellem kommt, setzt Ihr auf Remakes, Sequels, Romanadaptionen, Schenkelklopfer-Komödien und natürlich: bekannte Gesichter und Namen. Und selbst das zieht das Publikum seit Corona nicht mehr in die Kinos. Nicht wirklich. […] Ihr wollt von uns keine Innovation, sondern Sicherheit. […] Eure Angst tötet unsere Kreativität, unsere Ideen, unsere Lust am Schaffen.“
Sie wurden „von nicht wenigen gewarnt“, erzählen Eileen Byrne und Pauline Roenneberg, mit Franziska Margarete Hoenisch die Initiatorinnen de Appells. Mehr als 1.000 Filmschaffende haben inzwischen unterschrieben, darunter prominente Namen. Inzwischen haben auch „Die Zeit“ und der Deutschlandfunk berichtet.
Auf dem Podium vertiefen sie das Problem mit dem Nachwuchs, der meist ja auch schon weit über 30 ist. Für Freiräume und junge Talente ist im Fördersystem kein Platz. Das heißt, nicht ganz, denn die Rebellen von Oberhausen waren erfolgreich, und seit 1965 gibt es das Kuratorium junger deutscher Film, um den „filmkünstlerischen Nachwuchs zu fördern und zur künstlerischen Entwicklung des deutschen Films beizutragen und diese anzuregen.“ Vermutlich hat man sich bei dem Namen etwas gedacht – Kultur gehört kuratiert. Fun Fact: Finanziert wird die Förderung des deutschen Films nicht vom Bund, sondern durch die Länder – Kunst ist deren Sache.
800.000 Euro ist das jährliche Budget des Kuratoriums. 2,7 Millionen Euro ist das durchschnittliche Budget für einen Fernsehfilm. 200 Anträge gehen jedes Jahr beim Kuratorium ein. Was, bitte schön, kann man damit fördern?
Auf dem Podium sitzt Alfred Holighaus vom Kuratoriums-Vorstand. Also frage ich nochmal nach. Das ist eine ganze Menge, zählt Holighaus auf. Es stimmt schon und ist bekannt. „Die Liste der vom Kuratorium geförderten Debütfilme liest sich wie eine Chronik des Neuen Deutschen Films“, schreibt die Wikipedia, und das setzt sich auch im etwas neueren Film fort. Das Kuratorium gibt sich auf seiner Website bescheidener, weist aber auch stolz darauf hin: „Die Förderung des Kuratoriums gilt als Gütesiegel.“ Wie viel Güte könnte man wohl erst besiegeln, wenn das Budget 80-mal so hoch wäre? Stattdessen wollten die Länder das Kuratorium vor ein paar Jahren sogar ganz abzuschaffen.
80-mal so hoch ist das Budget der Filmförderungsanstalt (FFA), der man zurzeit oft vorwirft, ihre Sache nicht so gut zu machen. Beziehungsweise die falschen Filme zu fördern. Nämlich meist nur mit Blick auf Kinokasse und Production Value. Filmkunst oder Originalität spielten weniger eine Rolle. Für sowas war sie auch gar nicht gedacht. Nachdem nämlich der junge deutsche Film mit einer Miniförderung abgespeist war, ging’s dem alten deutschen Film immer noch schlecht, da halfen auch alle „Winnetou“- und „Edgar-Wallace“-Verfilmungen nichts. In der Not wurde die Idee mit der Förderung kopiert. Heraus kam ein kurioses Gebilde, das viele wegen des Namens mit einer Filmförderung verwechseln.
Denn die FFA ist zwar eine Bundesanstalt des öffentlichen Rechts, beaufsichtigt von der BKM. Ihr Förderbudget bringt sie aber selber auf, durch die sogenannte Filmabgabe. Kinos, Verleihe und Sender zahlen ein und fördern damit Kinos, Verleihe und Produktionen. Die Sender kommen auch nicht zu kurz, denn sie sind selbst als Koproduzent, Auftraggeber oder mit ihren Produktionstöchtern dabei. Das Ganze ist also mehr Kreislauf als Förderung; Buchhaltung statt Kunst. Die Kunst wird zwar immer mal erwähnt, läßt sich nun mal schlecht berechnen. Also geht’s weiterhin um Publikumszahlen (aber nur Kinos, keine Festivals) und Production Value; Kunst wird in Festivalpreisen gemessen.
Eigentlich könnte es egal sein, was die Filmwirtschaft da unter sich umverteilt (und sich letztlich beim Publikum wieder zurückholt). Aber es steht nun mal „Filmförderung des Bundes“ drauf. Und die FFA ist außerdem noch für die anderen Töpfe der BKM zuständig: 140 Millionen Euro standen 2019 in DFFF und GMPF bereit – Steuergeld. Und auch die Kulturstaatsministerin selbst hat bislang mehr mit High-End-Serien und „Oscar“-reifen Monumentalfilmen geliebäugelt als mit Nie-Dagewesenem.
Schlechte Chancen für etwas völlig Anderes? Auf dem Lichter Filmfest zeigt Sophie Linnenbaum ihren Debütfilm „The Ordinaries“ – ein schräges „1984“ in der Traumfabrik, koproduziert von Filmuniversität Babelsberg und ZDF, gefördert von der Nordmedia. Auf einem Panel sitzt Britta Strampe, die Produzentin. Sie lobt Förderung und Redaktion. Es geht also was, quer durch die Positionen. Und doch: es war „eine klassische Geschichte von Selbstausbeutung.“
Und das soll so nicht sein. Wie sollen wir Filmemachen? Die Frage wird anders gestellt im nächsten deutschen Film. Das zeigen nicht nur die drei Tage mit Workshops und Diskussionen in der Blase des Kongresses. Die meisten Panels sind im Youtube-Kanal nachzusehen. Drüben in Babelsberg läuft zur gleichen Zeit das Studierenden-Festival „Sehsüchte“. Dort diskutieren die jungen Talente über große Egos, und ob die wirklich für bessere Filme sorgen. Wer führt beim Film und so … manche meinen ja, das sei Teamarbeit. Das Gespräch der Reihe „Ausnahmezustand Film“ wird auch nach Frankfurt übertragen.
Energie und Ideen sind da für die Zukunft, vernetzt sind sie auch. Zwischendurch frage ich mich allerdings schon, warum diese Zukunft so unbedingt an einem System klebt, das eh nichts davon wissen will? Ob nicht all diese Energie und Ideen besser verwendet wären, nach anderen Wegen zu suchen? Was viele der Anwesenden längst auch schon machen. Mal so ganz frei nach einem deutschen Kinohit, der mit seinen beiden Fortsetzungen insgesamt 14 Millionen Euro an Förderung erhalten hat (das entspricht 17,5 Jahresbudgets beim Kuratorium junger deutscher Film): Fuck ju, Foehrderung?
Ich sagt’s leichthin, ich sitze ja nur im Publikum. Aber auf dem Podium sitzt Edgar Reitz und macht auch keinen Mut, als er seinen vier Thesen noch vier weitere draufsetzt. Die seien nicht neu, erklärt er vorab: „So ist die Branche: alles ist gesagt und nichts passiert.“
Das Lichter Filmfest jedenfalls meldet zum Abschluss „Aufbruchsstimmung“ – im 8-Punkte-Plan von Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat man sich wiederentdeckt: „Auch wenn die Referenten Roths eine direkte Verbindung zu den ,Frankfurter Positionen’ sicherlich verneinen, haben sie sogar einige deren Kommafehler übernommen“, sagt der Regisseur RP Kahl zum Kongress-Abschluss.
„Jetzt müssen wir dranbleiben!“ meint darum Festivalleiter Gregor Maria Schubert. Soll heißen: Der Kongress soll verstetigt werden, erklärt seine Kollegin Johanna Süß. Geplant ist die Gründung einer Gesellschaft zur Förderung der Filmkultur.
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