Liebe Kolleg*innen,
es ist leider noch schlimmer gekommen als gedacht. Statt der befürchteten 10%, die sämtliche Berliner Kulturinstitutionen ab sofort einsparen müssen, sind es nun sogar knapp 13% geworden. Weder die Proteste noch die Argumente haben geholfen. Es ist schon traurig genug, dass Kultur selbst offenbar einen derart niedrigen Stellenwert hat, dass es mit einem Schulterzucken hingenommen wird, wenn sie so brutal zusammengespart wird. Wohlgemerkt: Einsparpotential gäbe es, ebenso die Bereitschaft in den kulturellen Institutionen, gezielte Sparmaßnahmen zu ergreifen, wenn es denn ein sinnvolles Konzept gäbe. Aber das gibt es nicht.
Nach Rasenmäherprinzip müssen alle Kulturinstitutionen rund 10 bis 13% einsparen, egal, ob es sie die Existenz kostet, sie einfach nur deutlich weniger produzieren können oder dadurch einfach einen Großteil ihrer Strahlkraft, ihres Integrationspotentials und ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit einbüßen werden. Es zeigt einmal mehr die Entfremdung zwischen den Entscheidungsträger*innen in dieser Stadt und ihrer Kultur.
Es zeigt vor allem ihre Ahnungslosigkeit, da auch sie von der Strahlkraft des Berliner Kulturlebens profitieren, das sie nun austrocknen. Stichwort „Ast absägen, auf dem man sitzt“. Denn es wird ja sehenden Auges in Kauf genommen, dass Berlin damit seine Hauptattraktion verliert. Und das lässt sogar noch Schlimmeres befürchten: Die derzeitige Regierung hat es aufgegeben, an die Zukunft zu glauben, ja überhaupt an sie zu denken.
Denn woher sollen in Zukunft die Steuereinnahmen kommen, wenn immer mehr Firmen abwandern, wenn immer weniger Tourist*innen und immer weniger junge Kreative kommen, die bisher aus aller Welt von dieser Berliner Attraktion - seinem Alleinstellungsmerkmal - angelockt worden sind? Nein, es ist nicht – wie von einigen zu hören – zu oft wiederholt worden, dass es das reiche Berliner Kulturleben ist, das seinen Ruf in der Welt ausmacht, sondern offenbar nicht oft genug. Denn entweder wurde es nicht verstanden, oder es wird nicht ernst genommen. Dass es den Entscheidungsträger*innen in dieser Stadt egal sein könnte, obwohl sie es wissen, auch das ist denkbar, aber ich will es einfach nicht glauben.
Denn das würde bedeuten, dass die kulturfeindlichen Instinkte gewonnen hätten. Es würde bedeuten, dass das üble Klischee vom Kultursnob die Oberhand gewonnen hätte. Es würde bedeuten, dass die Entscheidungsträger*innen jetzt mit der Liebe zur eigenen Kultur auch gleich die ökonomische Vernunft massakriert hätten.
„Dieses arbeitsscheue Pack“, das sich für etwas Besseres hält und von der Allgemeinheit seinen ausschweifenden Lebensstil finanzieren lässt, soll jetzt gefälligst auch seinen Beitrag zu den notwendigen Einsparungen leisten. Ist es sinnvoll? - Egal! Ist es zielführend! - Irrelevant! Hat das eingesparte Geld einen zukunftsweisenden Effekt? - Geh mir weg mit solchen komplizierten Überlegungen! Hauptsache sie müssen bluten, weil es eben eine Gerechtigkeit im Leid geben muss.
Nochmal zur Erinnerung: Berlin hat weder BMW noch Mercedes noch den Hafen noch irgend einen anderen Wirtschaftsfaktor oder irgend eine andere Attraktion, die Menschen anlocken könnte. Sind die Menschen in dieser Stadt besonders freundlich? Äh- nun ja... Ist die Umgebung reizvoll? Tja, äh… - Ist Berlin schön? - Öh, hm… . Also was fällt Dir zu Berlin ein? Lebensqualität? Gutes Wetter? Savoir Vivre? Ernsthaft? MIR fällt ein: Berliner Philharmoniker, Komische Oper, Schaubühne, Clubs, Museen, um nur einen Bruchteil der kulturellen Highlights zu nennen. Darin ist Berlin Weltklasse. Noch.
Wie sollen in Zukunft die Kosten für die Verwaltung dieser großartigen Stadt kommen? Wer soll die Abwärtsspirale, in der sie sich trotz ihrer Großartigkeit derzeit befindet, aufhalten, wenn der Versuch, Politik zu gestalten, zugunsten einer rigiden, von keinen inhaltlichen Überlegungen mehr geleiteten, Sparpolitik bestimmt wird?
Ja, die Zahl der Kulturschaffenden ist im Vergleich zu andren Branchen gering. Ja, der Protest der letzten Wochen mag zahlenmäßig nicht sehr beeindrucken. Und ja, es ist leicht, die Kulturschaffenden als verwöhnte Snobs zu stigmatisieren, die nur um ihre Pfründe fürchten. Eine solche Sichtweise zeugt allerdings in erster Linie von einem sehr begrenzten Horizont, da sie außer Acht lässt, dass die Zahl derer, die Neues erfinden immer sehr klein ist. Aber es sind genau diese Leute, die mit ihrem Erfindungsreichtum für Fortschritt sorgen.
Zurück zu den Fakten: Anteil der Kultur im Gesamtetat: 2,5%. Anteil der mit diesen Maßnahmen eingesparten Kosten: 0,325%. Zu erwartender Effekt: Kultureller Kahlschlag. Nutzen für die Zukunft: Keiner. Schaden für Berlins Strahlkraft: Maximal.
Wird diese Entscheidung sich also rächen? Oh ja, mit Sicherheit. Wen wird sie treffen? Die gesamte Stadt. Die gesamte Stadt? - Nun ja, die Finanzpolitiker*innen, die diesen Kahlschlag zu verantworten haben, die sich keiner inhaltlichen Debatte gestellt haben, die stur auf die Zahlen starren, sie behalten ihren Job. Ihnen ist Berlins Zukunft offenbar egal, denn auch eine sterbende Stadt muss verwaltet werden.
Und die Entscheidungsträger*innen, die mit der Richtlinienkompetenz, jene, die den Sparprozess inhaltlich gestalten sollten, wird sie die Rache treffen? Wird es sich an der Wahlurne bemerkbar machen? Wird bei der nächsten Wahl jene Partei siegen, die eine konsistentere Kulturpolitik verspricht? - Hm.
In einer Demokratie haben die Menschen die Regierung, die sie verdienen, heißt es. Was sagt das über diese Stadt aus?
Herzliche Grüße
Der Vorstand
Bundesverband Schauspiel/info@bffs.de